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Wachsender Onlinehandel, steigende Kosten im stationären Handel und andere Faktoren könnten zur Verödung vieler Innenstädte führen, warnen Experten. Sie sehen aber auch neue Chancen für den Handel in der City.
Seit etwa 15 Jahren wird über die Auswirkungen des Online-Handels diskutiert, zuerst als „Ablösung“ des klassischen Versandhandels, dann in Bezug auf einzelne, besonders online-affine Branchen wie Bücher und Elektrogeräte. Mittlerweile setzt sich die Einschätzung durch, dass der Trend zum Online-Handel eine weit größere Dynamik entfalten könnte – mit sehr vielschichtigen Auswirkungen auf Stadt und Raum. Zu den Folgen zählen beispielsweise der zunehmende Leerstand in klassischen Geschäftsstrassen, aber auch immer kürzere Nutzungszyklen von Handelsimmobilien, die Verödung öffentlicher Räume oder die Verschlechterung der Versorgungssituation in Teilräumen.
Selbst bei einem abgeschwächten Online-Wachstum gerät der stationäre Handel aufgrund eines insgesamt sinkenden Umsatzpotenzials unter Druck. Bei stark zunehmenden Online-Umsätzen sind sogar "«relativ grosse Auswirkungen auf den Einzelhandel insgesamt sowie auf die Innenstadt- und Nahversorgungsstandorte, und zwar in Form von Standortschliessungen zu erwarten». Dies ist die Kernbotschaft der umfangreichen Studie «Online-Handel – mögliche räumliche Auswirkungen auf Innenstädte, Stadtteil- und Ortszentren», die die BBE Handelsberatung, elaboratum New Commerce Consulting und das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) erstellt haben.
Standortschliessungen sicher
Grossstädte wie Berlin, Frankfurt und Hamburg werden vom Sterben des stationären Handels weniger betroffen sein. Mittel- und Kleinstädte sind hingegen zunehmend von Leerstand bedroht. Da zudem die Kosten im Einzelhandel steigen, wären insbesondere für weniger widerstandsfähige und ohnehin finanzschwache inhabergeführte Geschäfte innerhalb weniger Jahre massive Probleme zu erwarten. Dadurch würden sich auch die Spielräume für Investitionen in Online-Auftritt und Digitalisierung reduzieren, heisst es weiter.
«Besonders die Top-7-Städte bestechen durch urbane Erlebnisqualität und bleiben attraktive Handelsstandorte. 1-A-Lagen sind weiter interessant, und die Nachfrage nach Flächen bleibt bestehen. Zudem drängen sich immer mehr Global Player oder neue Formate in gut frequentierte Handelszentren, wodurch weitere, wenn auch moderate Mietanstiege die Folge sind», sagt Joachim Stumpf, Geschäftsführer der BBE Handelsberatung. «Dafür bröckelt es selbst in einigen 1-A-Lagen der weniger attraktiven Gross- und Mittelstädte, in einigen Stadtteillagen und in unprofilierten Shopping-Centern», so Stumpf weiter. Und auch die «Grüne Wiese» verliere an Bedeutung.
Kleinere Ladenflächen benötigt
Es gibt aber bereits Anzeichen, dass viele der stationären Händler Gegenmassnahmen ergreifen und dass auch die anderen Beteiligten – Stadtverwaltungen und Vermieter – ihrerseits aktiv werden. So arbeiten im Rahmen von Cross-Channel-Konzepten sowohl Hersteller als auch Händler daran, im Verkaufsraum lediglich Repräsentanten des Sortiments zu zeigen. Varianten werden nach Auswahl vor Ort erst bei der konkreten Bestellung geliefert. Dadurch wird entweder weniger Handelsfläche oder es werden andere Flächenkonzepte und -zuschnitte benötigt. «Fläche wird teilweise durch Information und Technologie substituiert», bestätigt Prof. Dr. Klaus Gutknecht, Gründer und Partner der elaboratum GmbH New Commerce Consulting Gutknecht diese Entwicklung. Ebenso ist vermehrt zu beobachten, dass bislang reine Online-Händler stationäre Geschäfte aufbauen. Prinzipiell bieten das Internet und der Online-Handel Unternehmen viele Chancen, sich auch mit Nischenkonzepten einen grösseren Kundenkreis zu erschließen. «Die Digitalisierung ist nicht Ursache, sondern Katalysator der Veränderungen», heisst es in der Studie.
Joachim Stumpf plädiert dafür, dass die Händler und Städte digital sichtbar werden, da sich etwa die Hälfte der Verbraucher vor dem stationären Einkauf im Internet informiert. «Es ein Zusammenspiel aller Beteiligten einer Stadt, also des Handels, der Kommune, der Gastronomie, Dienstleister und Immobilieneigentümer notwendig, um den Mehrwert des stationären Handels zu bewahren», fordert Stumpf.
Multichannel angesagt
Wie auch immer die digitale Aufrüstung der Cities im Detail aussieht: Die Händler müssen die Kunden «dort abholen, wo sie gerade einkaufen wollen: egal, ob beim Einkaufsbummel in der Innenstadt, mit dem Tablet auf der Couch oder per Smartphone». Somit geht es in der Bedienung der Kanäle nicht um «online gegen offline», sondern um «online plus offline». Die Zukunft liegt – nach Meinung vieler für die Studie befragten Experten – eindeutig in der intelligenten Verknüpfung von Online- und Offline-Handel – nämlich dem Multichannel-Handel. Einigkeit besteht auch darin, dass Multichannel-Leistungen durchdacht sein müssen, einfach nur online gehen ist keine ausreichende Strategie. Die meisten kleineren Händler können die Kosten für einen professionellen Multichannel-Marktauftritt nicht tragen. Sie können aber versuchen, den Online-Vertrieb über eine bekannte Plattform wie Amazon oder eBay abzuwickeln, sich zu diesem Zweck an speziell für den Einzelhandel geschaffene Fulfillment-Plattformen von Versanddienstleistern wenden oder entstehende Online-Stadtportale nutzen. Die Akzeptanz bei Konsumenten könne allerdings noch nicht umfassend beurteilt werden, räumen die Autoren der Studie ein. Eine weitere Alternative und derzeit in der Erprobung sind lokale Online-Plattformen unterschiedlicher Art, wie das Projekt «Online City Wupperta», ebay Mönchengladbach oder – als Beispiele für kleinere Städte – das virtuelle Schaufenster in Güstrow sowie die «Digitale Innenstadt Diepholz» von eBay/HDE.
Noch etwas anderes spricht für die Zukunft der City – nämlich die demografische Entwicklung. Die Bevölkerung kehrt in die Zentren zurück, erhöht die Attraktivität für Investoren und führt so zum Neubau von Wohngebäuden in innerstädtischen Lagen. Besonders interessant sind Projekte, in denen neue Verzahnungen von Handel und Wohnen im Gebäude realisiert werden, abseits der üblichen Ladenlokale im Erdge-schoss. So werden zum Beispiel Wohnungen in den Obergeschossen von Shoppingcentern angeboten. Supermärkte und Discounter werden wieder zu Sockelnutzern von Wohngebäuden anstatt eingeschossige Flachbauten zu beziehen. Eine solche Reintegration bedarf aber nach Ansicht der Studienautoren «starker städtischer Impulse, denn die Immobilienentwickler scheuen meist gemischt genutzte Immobilien».
Vermieter in der Pflicht
Gleichwohl sind Städte und Gemeinden sehr aktiv, um die Rahmenbedingungen für attraktive Innenstädte und Stadtteilzentren positiv zu gestalten. Dies bestätigen Ergebnisse einer Umfrage des Deutschen Städtetages unter seinen Mitgliedsstädten zum Thema, die für die Studie ausgewertet wurden. Die Handlungsansätze reichen von der Erarbeitung eines Einzelhandels- und Zentrenkonzepts über eine Vielzahl von Marketingaktivitäten bis hin zur Unterstützung alternativer Shop-Konzepte. Eine Mehrzahl der Ansätze setzt dabei auf Kooperation zwischen den für Innenstadt-/Stadtentwicklung relevanten Akteuren, bezieht also auch die Einzelhändler, Immobilieneigentümer und andere ein.
Nicht zuletzt stehen auch die Vermieter in der Pflicht. Eine Kostenentlastung könnte die breitere Einführung umsatzbezogener Mieten eröffnen. Daraus ergibt sich für den Handel die Chance, auch bei rückläufigen Umsätzen das Geschäft nicht aufgeben zu müssen, da dann auch ein Teil der Fixkosten sinkt.